Blick vom Burgberg auf die Altstadt mit der Pfarrkirche St. Marien Die Kirche der katholischen Altstadtpfarrei besteht aus einem dreischiffigen, zweijochigen Hallenlanghaus mit dem aus schmalen Vorjoch und fünf Seiten des Achtecks bebildeten Chor am Mittelschiff und dreiseitig geschlossenen, außen nicht hervortretenden flachen Nebenchören an den Seitenschiffen. Der stämmige Turm ist zur Hälfte in das Westjoch des Mittelschiffes einbezogen. Entgegen mancherlei früher geäußerten Vermutungen ist die Kirche, wie die stilistische Einheitlichkeit zeigt und wie es Untersuchungen am Mauerwerk anlässlich der Restaurierung von 1974/75 bestätigt haben, ein in einem Zuge errichtetes Bauwerk. Der Bau ist recht gut datiert. In der Urkunde vom Mai 1287, die den Streit um die ursprüngliche, den Dominikanern zugewiesene Pfarrkirche St. Maria in vinea mit einem Kompromiss abschloss, versprach Otto, erwählter Bischof von Paderborn und Landesherr, die neu zu errichtende Marienkirche der Altstadt, die auch das Taufrecht haben sollte, „ohne Kosten für die Bürger“ weihen zu wollen. Im September 1290 verkaufte der Bischof den Bürgern der Altstadt seinen unteren Hof (curiam nostram inferiorem adiacentem veteri opido Wartberg), so dass das Baugelände für Kirche und Stadterweiterung gegeben war. Im Juli des Jahres 1297 trennte der Bischof die Altstadtpfarre, die 1287 vorübergehend mit der Petripfarre „ außerhalb der Mauern“ vereinigt worden war, wiederum von dieser. Das setzt voraus, dass zu diesem Zeitpunkt die Altstadt über ein für Gottesdienste benutzbares Kirchengebäude verfügte, d.h. , dass die neue Pfarrkirche – sie wird in der Urkunde schlicht nur als „ecclesia sanctae Marie veteris opidi“ bezeichnet – im wesentlichen fertig gestellt war. Ohne genaue Quellenangabe nennt Hagemann als Datum der Weihe „sub titulo visitationis beatae Mariae virginis“ den 19. Juni 1299. Damit ergibt sich als Erbauungszeit das letzte Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts.
Spätere Zutaten haben den ursprünglichen Bestand nur unwesentlich erändert. An der Nordseite des Chores entstand als Sakristei im Jahre 1429 die heutige Marienkapelle. Im 19. Jahrhundert brach man neben dem Südportal das dreiteilige Fenster ein, das sich unter anderem durch das Fehlen des äußeren Gewändes von den übrigen Kirchenfenstern unterscheidet. Der Turm erhielt 1899/1900 statt des überkommenden vierseitigen Daches – wie des heute noch der Kirchturm von Welda besitzt – ein weiteres, fünf Meter hohes Geschoß mit Umgang und 30 m hoher Spitze in Form einer achtseitigen Pyramide. Die jetzige Sakristei an der Südseite des Chores wurde im Jahre 1947 errichtet.
Der Kirchenraum hat zwei wesentliche Elemente mit den beiden anderen Pfarrkirchen gemeinsam, die Grundform der Halle und die große Höhe der Gewölbe. Im übrigen verbindet sich hier eine Vielzahl künstlerische Einflüsse unterschiedlicher Herkunft zu einer sehr eigenständigen Raumgestalt.
Die untere Turmhalle, als westliche Eingangshalle dienend, unterscheidet sich stark vom übrigen Kirchengebäude. Der nicht sehr hohe Raum wird von quadratischen Kreuzgradgewölben überdeckt, deren Trenngurte auf eine schlanke Mittelstütze zulaufen. Dieser Pfeiler ist eine elegante Steinmetzarbeit bereits der Hochgotik.
Eine für die mittelalterliche Architektur bezeichnende Einzelheit hat erst die Restaurierung von 1974/75 wieder sichtbar gemacht. Die zur Gliederung des Raumes wichtigen Architekturelemente Pfeiler, Rippen, Fenstergewänder, Portalbögen und Turmkanten waren farbig behandelt. An zahlreichen Stellen der Eckquaderung des Turmes, an den Bögen der Durchgänge der unteren Turmhalle und am Gewände des Chorfensters über dem Eingang zur Marienkapelle erkennt man am fahleren Ton des Grüns die freigelegten erhaltenen Partien der um 1300 entstandenen weißen Quaderung auf grünem Grund, nach deren Vorbild die farbige Wiederherstellung des gesamten Kirchenraumes erfolgt ist. Auf die tatsächliche Struktur des Mauerwerkes nahm der mittelalterliche Malen ebenso wenig Rücksicht wie auf die wirkliche Farbe des verwendeten Steinmaterials. Das Grün der aufgemalten Quader ist zweifellos auf die Einflüsse aus dem Soester Raum zurückzuführen, in dem der glaukonithaltige grünliche Sandstein vom Haarstrang das Gesicht sakraler und profaner Bauten prägte. Dass die Ausmahlung der Kirche im Übrigen dem stilistischen Wandel unterlag, belegt ein sichtbar belassenes kleines rechteckiges Feld am Gewände des nördlichen Chorfensters; es zeigt in bräunlichen Tönen die Ornamentik der Renaissance. Vieles ist gerade hier der Zeit zum Opfer gefallen. So erinnert der Schlussstein mit der Warburger Lilie und der Jahreszahl 1836 im Mittelquadrat des Kirchenschiffes an die Erneuerung dieses Gewölbes nach seinem Einsturz im Jahre 1833; dabei sind naturgemäß etwa vorhandene Reste älterer Gewölbemalerei verloren gegangen. Die zahlreichen Kunstwerke der Kirche repräsentieren vorwiegend die Zeit der Spätgotik und die des Barock.. Die älteste Plastik ist die in der Heiliggrabnische (am nördlichen Seitenschiff) befindliche Pietá , die früher in der Erasmuskapelle stand. Das Werk, das sich durch seine Größe (Höhe 117 cm), durch die weichere Behandlung des Leichnams Jesu, durch den großzügigen Faltenwurf des ganzen Körper Mariens einhüllenden Gewandes, besonders aber durch die innige Zuwendung der Mutter zu ihrem toten Sohn gegenüber der Neustädter Pieta als wesentlich jünger erweist, muss im zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts entstanden sein. Dem Ende dieses Jahrhunderts gehört die „Hl. Anna Selbdritt“ am südlichen Freipfeiler des Kirchenschiffes an; sie stammt vom 1838 abgebrochenen „Neuen Tor“ an der Diemelbrücke. Die 74 cm hohe Holzstatue vertritt einen sehr häufigen Typus der Darstellung der Mutter Mariens: die hl. Anna trägt in ihrem rechten Arm das Marienkind, das wiederum das Jesuskind auf dem Schoße hält (noch beliebter war bis ins 16. Jahrhundert die Anordnung des Marienkindes auf dem einen, des Jesusknaben auf dem anderen Arm). Maria ist durch eine Krone als Himmelskönigin, der Jesusknabe durch eine Kugel als Weltherrscher gekennzeichnet. Das feingezeichnete, ruhige Gesicht der hl. Anna wird von einem Kopftuch umschlossen, dessen Enden sich mit dem Obergewand zu einem geschlossenen Kontur verbinden, der in großzügigem Fluß die matronenhafte Gestalt einhüllt.
In der oberen Turmhalle hängen an Süd- und Nordwand gegenüber die Schnitzbilder einer Hl. Katharina und einer Hl. Barbara. Die beiden 148 cm hohen Flachreliefs, die vermutlich von einem Flügelaltar herrühren – ein Katharinenaltar in der Altstädter Pfarrkirche wird bereits im Jahre 1449 erwähnt, dann wieder 1674 - , zeigen die voll entwickelte Formensprache der reifen Spätgotik, bewegte schwungvolle Drapierung des Obergewandes, gewaltige Schüsselfalten um die Arme, Aufklappen des unteren Gewandsaumes in einer zierlichen Ohrenfalte.
Süddeutsch mutet die im Chor angebrachte leicht unterlebensgroße Figur eines Hl. Sebastian an. Der anatomisch durchgebildete, plastisch modellierte Oberkörper scheint aus seinem Gewand, das in großem Schwung einen Bogen vom rechten Oberarm zur linken Schulter bildet, förmlich herauszuwachsen, der sieghafte Gesichtsausdruck nimmt den Pfeilen den Charakter tödlicher Waffen und reduziert sie auf bloße Attribute. Die Gestalt des jugendlichen Märtyrers ist ein hervorragendes Beispiel für die Aufnahme und das wachsende Verständnis von Renaissance-Elementen, die die deutsche Spätgotik nach 1500 kennzeichnen.
Der Aufgang zum Chor wird von zwei Barockfiguren flankiert, einer süddeutschen Strahlenmadonna am rechten, einen Hl. Josef ihr gegenüber am linken Chorpfeiler. Der für die Barockzeit charakteristische Typus des Marienbildes beruht auf dem Wort der Apokalypse (12,1) „Und es erschien am Himmel ein großes Zeichen: eine Frau, umkleidet mit der Sonne, der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt ein Kranz von zwölf Sternen.“ Die Darstellung der Sterne fehlt bei unserer Figur; sie steht auch nicht auf einer Mondsichel, sondern auf der Erdkugel, die das Zeichen der Schlange trägt, wiederum eine biblische Bezeichnung (Gen 3,14 f. „Nun sprach Jahwe zur Schlange: Feindschaft will ich setzen zwischen dir und dem Weibe, zwischen deinem Spross und ihrem Spross. Er wird dir den Kopf zermalmen, und du wirst ihn an der Ferse treffen.“) Durch Krone und Zepter ist Maria als Himmelskönigin gekennzeichnet, durch das Kind auf dem linken Arm, das die Weltkugel mit dem Kreuz darauf hält, als Gottesmutter, durch die von der Schlange, dem Symbol der Erbsünde, umwundenen Erdkugel unter ihren Füßen als „Immaculata“, als „Unbefleckt (von der Erbsünde) Empfangene“. Auch die Figur des Hl. Josef als „Nährvater Jesu“ entspricht dem üblichen Darstellungstyps des Barock. Unter dem vom linken Arm gehaltenen, nur die untere Partie der Gestalt bedeckenden Mantel wird ein langes Untergewand sichtbar, der Kopf ist unbedeckt. Auf dem linken Arm hält Josef das Jesuskind, das seinerseits die rechte Hand zum Segensgestus erhebt. Die Blicke sowohl Josefs wie des Kindes richten sich nach vorn, auf den Betrachter, aber ihre Köpfe neigen sich einander zu.
Die Josefsfigur stand ursprünglich auf dem sockelartigen Block innerhalb des Sprenggiebels des Rosenkranzaltars im nördlichen Nebenchor. Dieser undatierte, aus Holz gefertigte Altar wird um das Jahr 1700 angesetzt. Der Aufbau seiner Rückwand (des „Retabels“), auf einem schlichten Sockel, der die Altarmensa leicht umgreift, folgt der Brechung der Apsiswand. Das hohe rechteckige Altarbild erfährt eine räumlich-architektonische Rahmung durch die schlanken gewundenen Säulen, die durch ein jeweils hervortretendes Gebälkstück mit dem gebälkartigen Abschlusssims des Retabels verbunden sind; halbhohe seitliche Begleitfiguren – St. Erasmus und St. Nikolaus- verstärken den raumhaften Charakter der Architektur. Das ikonographisch interessante Altarbild zeigt Maria, auf den Wolken schwebend, die dem hl. Dominikus einen Rosenkranz aus Perlenschnüren reicht, während das Jesuskind zur anderen Seite hin der hl. Katharina von Siena einen Kranz aus wirklichen Rosen schenkt. Umgeben wird die kompositorisch hervorragende Gruppe von einem gemalten ovalen Rosenkranz, dessen „Perlen“ aus Medaillons bestehen, in denen die Geheimnisse“ (Gebetsanrufungen) des Rosenkranzgebetes bildlich dargestellt sind. Die Qualität dieses vielleicht zu wenig beachteten Altares lässt bedauern, dass durch den Verkauf des ebenfalls barocken Hochaltars (über dessen Gestalt nichts mehr bekannt ist) im Jahre 1863 die bis dahin einheitlich barocke Ausstattung der Chorpartie ihre Mitte verloren hat.